Ausgerechnet an einem Sonntag kamen die Presse-Keys. Abends. Rund 100 Gigabyte Download. Doppelt, weil ich Larians Monsterprojekt mit meiner Partnerin Claire teste. Als wir das Teil endlich starten, ist es Mitternacht. Kaffee. Energy Drinks. Earl Grey, hot. Als wir aufhören, ist es kurz vor zehn Uhr morgens.
Einige Stunden gepennt und direkt die nächste Nacht durchgezockt. Jetzt sitze ich hier und soll diesen Artikel schreiben. So viele Gedanken und Gefühle, ich kann sie gar nicht ordnen. Ob ich wenigstens Spaß habe, fragt Petra. Ha! Sie hat ja keine Ahnung! Claire und ich träumen von Baldur’s Gate 3, haben die Musik im Kopf, diskutieren über unsere Gefährten in der Story und deren Motivationen und Verhalten.
Historische Höchstwertung, aber 5 Punkte Abwertung wegen Bugs
Einerseits spielt sich Baldur’s Gate 3 für ein Rollenspiel dieses Umfangs und dieser Komplexität bemerkenswert rund. Andererseits gehört es ebenso zur Wahrheit, dass sich zum Zeitpunkt dieses Tests noch verhältnismäßig viele Bugs im Spiel befinden, vor allem im letzten der drei Kapitel. Weil diese je nach Spielweise auch dafür sorgen können, dass sich einige Quests nicht lösen lassen, müssen wir Baldur’s Gate 3 auf Basis unseres Spielerlebnisses temporär um 5 Punkte abwerten.
Angesichts des Rekordtempos, in dem Entwickler Larian gerade Hotfixes raushaut, gehen wir davon aus, dass diese Abwertung nur von kurzer Dauer sein wird. Und wir bleiben trotz der Abwertung über der 90er-Marke, weil wir Baldur’s Gate 3 selbst mit seinen Fehlern schon jetzt für ein Meisterwerk halten, das wir allen Rollenspielfans wärmstens ans Herz legen wollen.
Mehr zu unseren Überlegungen rund um die höchste GameStar-Wertung aller Zeiten erzählen Micha, Heiko und Sascha in unserem Talk-Video:
Ich war ja seit der ersten Ankündigung dagegen. Wieso plötzlich wieder Baldur’s Gate, wieso Larian, wieso erinnert hier so viel auf den ersten Blick an Divinity? Ich habe es lange Zeit ignoriert, bis Menschen während der Early-Access-Phase vor Begeisterung ausgerastet sind. Dort habe ich schließlich doch mal für fünf Stunden reingeschaut und alles ganz interessant gefunden, dann wieder aufgehört.
Falls ich die Vollversion spielen würde, wollte ich das erste Kapitel nicht bereits im Schlaf kennen und mich daran sattgesehen haben. Ich wollte mir Baldur’s Gate 3 für den offiziellen Release aufheben. Dementsprechend neu für mich waren die Erlebnisse, die ich für meinen Test gesammelt habe.
Vier Fäuste gegen Kaulquappen
Man kann es natürlich auch prima solo spielen, aber wir starten sofort in den Multiplayer, Claire als Ranger und ich als Paladin. Direkt zu Spielbeginn lassen wir uns in beeindruckenden Rendersequenzen von Illithiden was in den Kopf setzen: fiese Parasiten, die ihren Wirt innerhalb weniger Tage auslöschen und in einen Gedankenschinder verwandeln.
Baldur’s Gate 3 fackelt nicht lange. Du hast eine tickende Zeitbombe im Kopf, du musst das Viech in deinem Gehirn schnellstmöglich und um jeden Preis wieder loswerden. Kurze Zeit später stellt sich dann heraus, dass dich dein Parasit nicht wie sonst üblich sehr schnell umbringt, sondern dir anscheinend neue Kräfte verleiht. Sehr mysteriös, das alles!
Typisch für Larian findet ihr bereits in den ersten Spielstunden alle sechs Hauptbegleiter im Spiel, ihrerseits Leidensgenossen mit Würmchen im Kopf, die sich euch anschließen, um gemeinsam nach einer Heilmethode zu suchen. Also größtenteils. Wenigstens ein Kollege hätte überhaupt nichts dagegen, seine neuen Kräfte voll auszunutzen, um mächtiger zu werden und die Menschen seinem Willen zu beugen.
Von daher findet er seinen Parasiten auch gar nicht mal so schlimm. Zudem kommen alle sechs Begleiter mit spektakulären Hintergrundgeschichten, schon weil ihr jede dieser Figuren wahlweise auch als Hauptfigur spielen dürft, wenn ihr keinen eigenen Charakter erstellen möchtet.
»Ich bin Uwe, ich bin Zwerg, mag Bier und boxe gerne Oger«, könnt ihr hier vergessen. An den Protagonisten von Baldur’s Gate 3 ist nichts bodenständig. Falls es hilft: Im weiteren Spielverlauf kommen noch andere Begleiter ohne massive Origin-Story hinzu, zudem dürft ihr recht früh im Spiel generische Mitstreiter anheuern.
Koop mit Tücken
Startet Claire einen Dialog mit einem Charakter, kann ich sie anklicken und die Unterhaltung verfolgen, Antwortmöglichkeiten empfehlend hervorheben, die Kontrolle hat in diesem Moment jedoch allein meine Freundin. Das ist nicht ganz perfekt, weil ich immer möglichst sofort aktiv in ihre Dialoge reinklicken muss, um nichts zu verpassen.
Zudem bleiben unsere Hauptfiguren in Unterhaltungen stumm, wobei mir nicht immer genug Zeit bleibt, ihre Antworten vollständig zu lesen, bevor sie diese auswählt. Wir haben dieses Problem wie totale Rollenspiel-Nerds so gelöst, dass jeder von uns seine Dialogzeilen laut aufsagen (und schauspielern!) muss, damit der Mitspieler immer weiß, was gesagt wird.
Zudem gibt es noch die Option auf sogenannte private Dialoge, in denen der Mitspieler ganz bewusst nicht mitbekommt, was man in bestimmten Situationen mit NPCs bespricht, das haben wir aber deaktiviert.
Davon abgesehen ist das Spiel im Multiplayer bisher super. Claire hat sich mit einigen Gefährten angefreundet, die ich bisher nicht besonders mag und umgekehrt. Sie redet mit Tieren, knackt Schlösser, entschärft Fallen und findet Verborgenes. Ich überrede und überzeuge NPCs dank hohem Charisma-Wert in vielen Dialogsequenzen und schüchtere Monster und Banditen ein, was uns viele Kämpfe umgehen lässt.
Die Gefechte in Baldur’s Gate 3 sind ausschließlich rundenbasiert und nehmen entsprechend mehr Zeit in Anspruch als in den Klassikern, dafür hast du nicht an jeder Ecke wieder und wieder dieselben Trashmobs und kannst viele Konfrontationen gewaltfrei lösen. Kommt es doch mal zum Kampf, geht das Spiel sehr gnädig los, macht mir aber auch schon erste kleine Sorgen.